Die Bäume von Grafeneck

Das Projekt

Ich habe vor, die Alleen in Grafeneck durch das Kalenderjahr zu photographieren. Genauer möchte ich die alten Bäume eine Zeitlang regelmäßig besuchen und photographieren, so daß eine Serie von Bildern entsteht, die ihren Jahresablauf darstellt.

Mich interessiert die obere Allee auf dem Höhenkamm - das sind vorwiegend Linden, einige Eschen und ein paar Kastanien und Ahornbäume - und die Auffahrt am Waldrand östlich des Schloßes, die ich die untere Allee bezeichne. Von den Bäume interessieren mich die alten, über 70 jährigen, weil sie Zeugen und Wegmarken der Deportationen sind, die die Opfer der "Euthanasie"-Morde zur Gaskammer brachten. Mit Bezug auf die Morde würde ich gerne wenigstens jeden Tag, an dem ein Deportation stattfand oder versucht wurde, photographisch festhalten.

Historischer Hintergrund

Grafeneck ist ein Höhenkamm entlang eines Lauterzuflußes zwischen Münsingen und Marbach, auf dessen Vorberg im Mittelalter ein Burg stand. In der Renaissance errichteten die Württemberger an der Stelle ein Jagdschloß, das unter Carl Eugen zu einer repräsentativen barocken Sommerresidenz ausgebaut wurde. Man überbaute den Graben, so daß ein einheitlich ebener Höhengrad in Nord-Süd Richtung entstand, auf dem eine gerade Allee zum Schloß hinführt. Nach Carl Eugen wurde das Schloß vernachläßigt und verkam bis es Anfang des 20. Jahrhunderts zum Verkauf stand.

Der erste private Eigentümer richtete ab 1904 auf dem Höhenrücken unweit des Schloßes eine Pferdezucht mit Stallung, Rundhalle und einer Remise ein. In diesem Falle ist die Remise eine Art Garage für drei Kutschen oder Pferdewagen. Ein Bauplan von 1911 ist in [2012Stoeckle], S. 70 zu finden. Das Schloß wurde mehrfach weiterverkauft und gelangte 1928 schließlich an die Samariterstiftung, die ein "Krüppelheim" (so die zeitgenösische Bezeichnung) einrichtete und auch die Landwirtschaft übernahm.

Als 1939 in Berlin die zentral gesteuerte, massenmäßige Ermordung kranker, alter und unproduktiver Heimbewohner bzw. Anstaltspatienten in die letzte Planungphase kam, fiel die Wahl für eine Tötungsanstalt im Südwesten auf Grafeneck, vermutlich ein Vorschlag von Eugen Stähle, des Abteilungleiters Gesundheitswesen im württembergischen Innenministerium.

Im Herbst 1939 wurde Grafeneck beschlagnahmt und zur ersten industriellen Mordanstalt im deutschen Reich umgebaut. Der gesamten Höhenrücken war von SS bewachtes Sperrgebiet, ins Schloß kam die Verwaltung und Wohnräume des Personals und in der Remise in der Mitte des Höhenkamms wurde die Gaskammer eingerichtet (als Duschkammer getarnt). Um die Gaskammer wurden die Krematoriumsöfen, Garagenplätze für die Busse und eine Aufnahmebaracke angeordnet, und der ganze Komplex mit einem (über 3 m hohen) Bretter-Sichtschutz umgeben.

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Grafeneck im Jahr 1940 (nach einem Plan aus dem Grafeneckprozess [1947Lageplan])

Von Januar bis Dezember 1940 wurde Grafeneck als "Anstalt A" der "Euthanasie-Aktion" von Berlin aus betrieben: Man stand in täglichem Telephonkontakt und ein Kurierdienst pendelte zwischen der Zentrale und allen Tötungsanstalten. Die Deportationen wurden in der Zentrale in Berlin geplant und über die Innenministerien der Länder (im Falle Grafenecks waren das Baden, Württemberg, Bayern und eventuell Hessen-Nassau) den "Abgabeanstalten" zugestellt. Die Busse rückten nach diesen Plänen - zeitweise täglich - von Grafeneck aus und brachten die Pfleglinge gemäß der Planlisten. Bei der Rückkehr der Busse wurden die Patienten in der Regel (in der Aufnahmebaracke) noch einmal gemustert und dann umgehend vergast.

Ebenfalls 1940 wurde der Antrag bewilligt, die Lindenallee in Grafeneck unter Denkmalschutz zu stellen ([2011Samariterstiftung], S. 101).

Nach 1940 wurde der Tötungsbezirk zurückgebaut - die Remise blieb bis zu ihrem Abriss 1965 erhalten. Die Nazis nutzten das Schloß danach für das "Kinderlandverschickungs" Programm. Nach dem Krieg wurde Grafeneck zunächst von der französchen Besatzungsmacht beansprucht und erst 1947 uneingeschränkt an die Samariterstiftung zurückgegeben.

Heute erstrecken sich die Gebäude der Wohn- und Arbeitstätten der Samariterstiftung sowie die Landwirtschaft über fast den gesamten (westlichen) Höhenrücken. Die obere Allee ist jedoch bis zu der Stelle, wo der Tötungsbereich war, weitgehend unverändert erhalten geblieben, ebenso das östliche Tal und die Auffahrt am Wald (untere Allee). Nur wenige Bäume dieser Alleen sind in den letzten 70 Jahren verschwunden oder wurden neugepflanzt. Deswegen und da sie die Zufahrt der GeKraT Busse am Ende einer jeden Deportation säumen, dreht sich das Projekt um diese Bäume.

Persönlicher Hintergrund

Für mich ist Grafeneck - in chronologischer Reihenfolge -

  • ein Stück Alblandschaft, wie ich es sehr liebe: herb, vom rauhen Wetter reduziert auf schlichte Ursprünglichkeit
  • ein Sammlung toller alter Bäume: Knorrige Individuen in einer bunten Gruppe
  • ein häufig beiläufig angefahrener Ort bei Radtouren
  • ein historischer Ort des Barock mit Wurzeln in der Renaissance und früher
  • Heim und Arbeitsstätte für Behinderte
  • ein Bauernhof
  • ein historischer Ort des nationalsozialistischen Terrors
  • der Ort, an dem meine Urgroßmutter ermordet wurde.

Planung

Es wird mehrere Jahre dauern, bis die Serie vollständig sein wird. Zum einen sind mir nicht alle Termine bekannt, zum anderen sind es zu viele, um sie (in meiner Freizeit) in einem oder zwei Jahren wahrzunehmen.

Außerdem muß ich mich weiterentwickeln, sowohl technisch als auch künstlerisch und finanzielle Überlegungen strecken den Zeitplan zusätzlich. Ich habe weder die Mittel noch die Kenntnisse, für alle Abschnitte des Projekts sofort die optimale Lösung zu realisiseren.

  • Wahl der Termine (historisch, jahreszeitlich, wetter- und lichtbedingt)
  • Photographie (Analog/digital, Mittelformat/Kleinbild/APS-C, Objektive)
  • Bildentwicklung (Chemisch, Scannen, Lightroom und digitale Nachbearbeitung)
  • Druck (Lernphase steht für 2014 an. Buch und Einzelbilder sind vorgesehen, vielleicht auch eine digitale "Edition")
  • Gesamtplan bzw. Auswahl der Serie (Ein Bild pro Datum. Festlegung kann bis nach 2016 warten)
  • Vertrieb (Könnte jemand anderes machen; Ist erst nach 2016 zu entscheiden)

Nicht zuletzt ist die Dauer bestimmt durch die Intensität, mit der ich mich dem Projekt widme. Hier werde ich mich ganz nach mir richten, denn die Aussicht, mich längere Zeit zusammenhängend und in mehreren Aspekten mit Grafeneck zu beschäftigen, war der Hauptgrund, weshalb ich das Projekt selbst angehen wollte.

Diese Seite ...

soll mir helfen, die Flut der Bilder, die im Rahmen des Projektes entstehen, zu kanalisieren. Ausgewählte Bilder werden soweit aufbereitet, daß sie Freunden und Interessierten präsentiert werden können. Damit und mit den Reaktionen möchte ich mir klar werden, wie die Serie letztlich wird.

Alle Bilder dieser Seite sind vorläufig: Sie können jederzeit überarbeitet werden, ihren Status verändern oder herausfallen bzw. hinzukommen. Dennoch sind sie urheberrechtlich geschützt (wie in den Metadaten angegeben).

Wie ich auf Anregungen reagiere, kann ich noch nicht sagen, zumal ich das selbst noch nicht (ansatzweise) verstanden habe. Ich schreibe sehr viel langsamer und weniger als ich lese und obwohl ich um (konstruktive) Kritik bitte, kann ich wenig Hoffnung machen, daß ein reger Schriftverkehr zustande kommt.

Wer historischen Rat oder fundiertes Fachwissen sucht, dem kann ich die Seite der Gedenkstätte Grafeneck empfehlen.


[2012Stoeckle]Th. Stöckle Grafeneck 1940
[1947Lageplan]Staatsarchiv Sigmaringen StAS Wü 29/3 T 1 Nr. 1758
[2011Samariterstiftung]Fr. Rößner "Im Dienste der Schwachen"